Es begann mit dem Hydraulos

… und wenn du einen deiner Angehörigen von Trauer niedergeschlagen siehst,
willst du diesem dann eher Stör als irgendein sokratisches Buch geben?
Willst du ihn ermuntern, eher auf die Töne der Wasserorgel als auf die Worte Platons zu hören?

Marcus Tullius Cicero, 106–43 v. Chr.
Tusculanea Disputationes, III, 43

Der Ursprung der Orgel liegt in der Antike.

Urahne der heutigen Kirchen- und Konzertorgel ist die „Wasserorgel“ (Hydraulos oder Hydraulis). Als Erfinder gilt der im 3. Jh. v. Chr. in Alexandrien lebende griechische Ingenieur Ktesibios. Erwähnt wird der Hydraulos im 1. Jh. v. Chr. vom römischen Ingenieur Vitruv. Im römischen Reich beliebt als Statussymbole, standen Wasserorgeln auch in Theatern und befeuerten Gladiatorenkämpfe. Sogar Kaiser Nero soll die Orgel „geschlagen“ haben …

Wasserorgel

Die ältesten heute noch spielbaren Orgeln befinden sich in Deutschland im ostfriesischen Rysum und in der Schweiz in der Basilika von Valeria ob Sion. Gebaut um 1450, sind die beiden Instrumente allerdings nur noch in Teilen original erhalten.

Rysum
Valère

Besondere klangliche und visuelle Pracht entfaltete die Orgel im Barock. Nicht nur die meisten europäischen Länder prunken noch heute mit zwischen 1650 und gegen 1800 gebauten Instrumenten, auch Lateinamerika bescherte die Conquista  grandiose Instrumente wie die beiden Chororgeln in der Kathedrale von Mexico City (Zócalo).

Barocke Orgel Ochsenhausen: Prospekt
Barocke Orgel Ochsenhausen: Spieltisch

Charakteristisch für den iberischen Orgelbau sind die horizontal herausragenden sogenannten „spanischen Trompeten“.

Spanische Trompeten, Kathedrale El Pilar in Zaragoza

Zu den weltweit grössten Orgeln zählen die für die Weltausstellung 1924 von Walcker (Ludwigsburg) gebaute Orgel im Palacio Nacional in Barcelona und die Orgel im Wanamaker Department Store in Philadelphia von 1904.

Wanamaker-Orgel, Philadelphia: Prospekt
Wanamaker-Orgel, Philadelphia: Spieltisch

Als historisch lassen sich generell die bis 1863 mit mechanischer Traktur gebauten Orgeln bezeichnen. In diesem Jahr erfand die französische Orgelbaufirma von Aristide Cavaillé-Coll die pneumatische Traktur. Heute gelten aber auch die wenigen weitgehend erhaltenen Instrumente von Cavaillé-Coll und viele weitere Orgeln des 19. Jhs. und darüber hinaus als „historisch“.

Charakteristisch für die älteren historischen Orgeln katholischer Länder ist das meist rudimentäre Pedal. Der beschränkte Tonumfang und die oft sehr kurzen Pedaltasten schliessen die Interpretation der meisten Orgelkompositionen etwa Dietrich Buxtehudes und Johann Sebastian Bachs wie auch späterer Komponisten aus. Die heutigen Orgelpedale haben einen Tonumfang bis zu 32 Tasten.

Kleines Pedal: Klösterli, St. Josef, Schwyz (vor 1650)
Stuhl und Pedal: Kathedrale Segovia, Spanien (1702)
Klötzchenpedal: Holzhay-Orgel, Süddeutschland (1787)
Pedal und Spieltisch: Uranienborg, Oslo (1848/2009)

Nicht nur optisch, auch klanglich unterscheiden sich historische Orgeln wesentlich nach Epochen, Ländern oder Regionen. Im Gegensatz zum späteren industriellen Orgelbau waren die historischen Orgelbauer Handwerker, deren Instrumente sich durch grosse Individualität auszeichnen.

Ob einmanualige Kammer- oder siebenmanualige Riesenorgel: an Vielfalt, Gestalt, Klang und technischen Möglichkeiten dürfte im Reich der Instrumente die Orgel wirklich die Königin sein.

Pauschal lässt sich sagen, dass die älteren Orgeln in den katholischen Ländern vorwiegend der Liturgie dienten, was die Komposition meist kurzer Stücke bedingte. Nur während des Offertoriums, also der Zeit des Einbringens der Kollekte, war dem Organisten das Brillieren mit einem längeren Stück vergönnt. Er hatte guten Grund, die  Organisten des protestantischen Nordens zu beneiden, deren Virtuosität mit den vielteiligen Präludien eines Bruhns oder Buxtehudes bis zu den monumentalen Orgelwerken Bachs kaum Grenzen gesetzt war.